ANTI-CHAMBRIEREN
Alle stehen irgendwann im Vorzimmer und warten auf glückliche Tage

von Prof. Dr. Bettina Köhler
im Katalog "Glückliche Tage"
1992

 


 

Die ungekrönten Häupter der Versammlung von Einzelgängern, Paaren, Verwandten und Bekannten sind ohne Zweifel die Vorzimmerdame und der Bürohengst. Sie wacht-repräsentativ aufgebockt-unter der Tütenlampe, vor beunruhigendem Blumenmuster über die Welt als Vorzimmer. Er klebt-ewig defensiv-in seinem Stuhlgefängnis und sorgt durch bösartige Ignoranz dafür, dass die Stühle bleiben, wo sie sind. Ihr schräger Blick, gerade am Betrachter vorbei und seine Sonnenbrille lassen jeden im Unklaren über ihre beabsichtigten Handlungen, sofern es diese überhaupt geben mag. So erscheinen sie als Personifikationen der Unfähigkeit, lebendig und ohne Vorurteile zu agieren, und geben damit den Leitton für die von Britta Hansen gearbeiteten Figuren an.
 
Diese stehen, sitzen, knien oder liegen im Vorzimmer ihrer Gefühle und warten: auf ungeteilte Bewunderung und Kniefall („Kaisers“), auf Gold und Glück („Pechmarie“), auf Sex und Liebe („Ha-La-Lit“), auf Applaus („Sonnenanbeterin“), auf ein Weiblein („ausgezeichnet“), auf den nächsten Auto-Crash (...)

Sie warten aber nicht unbeobachtet, denn sie gehorchen ihrem inneren An-Trieb und zugleich ihrer Vorstellung vom An-stand, den sie mit Recht auch im Publikum vermuten. Nur dem Tier, dem Hund, rutschen die Beinchen weg und die Zunge hängt raus, weil die Wurst vor der Nase liegt, aber Frauchen die Leine an den Busen drückt. Die Menschen dagegen zappeln an der inneren Leine und ihre Metamorphosen zur Kreatur können sie nur mit Hilfe der Pose ertragen.
 
Aktäon, getrieben von der Lust, die Göttin zu sehen, ist hier “er“, der „ihr“ im Wald begegnet. Auf Knien, das Geweih, Zeichen der Brunft und Strafe zugleich, stolz zum Banner erhoben, robbt er ihr entgegen, die -den Erwartungen, die man an ihr Geschlecht stellt, zögerlich entsprechend-den Kopf zwar erwartungsvoll streckt, aber dennoch ergeben wartet. Das Tragisch-Komische des „Paares“ liegt gerade darin, dass sie noch kein Paar sind, und in der Pose, die sie einnehmen, um es zu werden. Die entindividualisierten Körper und Gesichtszüge stilisieren beide zum Archetypus der Suchenden. Von Eros, dem Gott des Mangels, blind getrieben, könnten sie sich berühren, dann aber aus der Haltung herauszufinden und sich tatsächlich zu „erkennen“, scheint unglaublicher Anstrengung zu bedürfen.
 
Aus den jeweils verschiedenen Posen sich zu lösen, in Bewegung zu geraten, ist den Figuren auch deshalb so beschwerlich, weil sie auf eine symbiotische Weise mit ihrem Ambiente verbunden sind. Das Ambiente bedingt und steigert die Pose bis zum Grotesken, entlarvt sie aber zugleich als solche und aus dieser Verbindung entsteht die Komische Wirkung. Dieses Ambiente, in das teilweise der „Sockel“ im alten Sinne aufgeht, ist entweder auch aus dem werkmaterial der Figuren, also aus Draht und Pappmaché gefertigt („Kaisers“) oder es erscheint als „objet trouvé“ (“Vorzimmer“, „ausgezeichnet“, „Ha-La-Lit“). Ob das „Vorzimmer“ auf drei Tisch-Beinen spitzig und entschieden balanciert - und die nur allzu beliebte Pose der sich kokett auf dem Schreibtisch räkelnden Sekretärin zum, allerdings strengen, Körper geworden ist – ob „er“ zum großen Halalit im Wohnzimmer bläst und kühnste Jagdphantasien zwischen Buffet und Tisch verwirklichen wird; ob „ausgezeichnet“ auf grünem Kissen mit Troddel den Damen zum Streicheln gereicht oder für immer das Revers der Lady schmücken wird; ob die Krawatte des Herrn so lang, lang den Sockel hinabgleitet, in jedem Fall entsteht durch die Collage von Figur  und Ambiente eine ausgesprochene Situationskomik.

Die gewählten Attribute funktionieren dabei im Sinne der alten Ikonografie, als verweisende Elemente, mit dem Unterschiede allerdings, dass ihre Bedeutung sich nicht länger aus der Ikonografie ableiten lässt, sondern sich aus der Beobachtung der Alltagswelt und ihrer Ikonen, der von uns den Dingen verliehenen Bedeutung ergibt.

Ist das Komische bzw. der Witz, neben der Übertreibung immer auch ein Produkt der Schnelligkeit, der plötzlichen Wendung, des Perspektivwechsels, so erweisen sich die Wahl des Materials, die jeweilige Größe bzw. der Ausschnitt der Figuren und ihre farbliche Behandlung als ebenso wirkungsvolle Mittel, um die beschriebene Wirkung zu erzielen.

Zumindest seit der Verwendung von Stuck zur Herstellung lebensgroßer Figuren wird „armem“ Material im Gegensatz zum schwer zu bearbeitenden Stein eine Qualität abgewonnen, die nicht mehr diejenige der zu überwindenden „difficultà“ im Arbeitsprozess ist, der zu einem endgültigen – mühelos wirkenden – Ergebnis führt. Im Gegenteil wird gerade der unmittelbare Ausdruck seelischer Affekte, die Überblendung möglicher Bewegungen einer Figur mit Hilfe eines „schnell“ reagierenden Materials angestrebt und damit die Zeit neben dem Raum als Anschauungsform in hohem Maße aktiviert. So besitzt das Pappmaché um ein Drahtgestell gebaut und farbig bemalt in der Art und Weise, wie Britta Hansen es behandelt, eine zerklüftete aber gleichwohl filigrane Oberflächenstruktur, die viel mit der Vorstellung des „non finito“, der Skizze zu tun hat. Damit erscheinen die Figuren am Übergang von der „inventio“, der ein bozetto den ersten Ausdruck verleiht, zur fertigen Gestalt angesiedelt. In diesem Sinn sind die Skulpturen auch nur partiell farbig behandelt, so dass die Farbe als Pars pro Toto für die immer im gesamten farbige Realität der Dinge und Körper steht.

Derart entsteht aufgrund der nicht ausformulierten Details (auch die Verwendung des Torso ist in diesem Zusammenhang als Verzicht auf das „Ganze“ zu deuten), der deutlich sichtbaren Arbeitsspuren und der Art des Farbauftrags das Bild einer ausgesprochenen Vitalität bzw. „Beweglichkeit“ der Figuren, die in entschiedenem Widerspruch steht zu ihrer prätentiösen Anstrengung, die Haltung zu bewahren: Bloß nicht der Göttin tatsächlich den Hintern streicheln, bloß nicht vom Nierentischchen steigen und die Klamotten wieder anlegen und bitte berühren Sie nicht diesen Stuhl, das Unternehmen könnte zusammenbrechen, auch das Ziehen an der Krawatte ist strengstens untersagt, fragil, wie sie scheint, könnte sie uns in den Händen bleiben...
 
Mechanisch und lebendig zugleich: jeder der versammelten Glücksritter und jede der Glücksedelfräulein ist gut gepanzert, aber die Achillesferse bleibt allzeit sichtbar und daher können wir zwar lachen, aber nicht laut: “Konzentrieren wir uns dagegen auf die Zeichnung mit dem festen Vorsatz, nur an die Zeichnung zu denken, so werden wir wahrscheinlich feststellen, dass die Komik einer Zeichnung meist im Verhältnis zur Deutlichkeit und auch zur Diskretion steht, mit welcher ein Mensch als Hampelmann vorgestellt wird. Die Suggestion muß deutlich sein, wir müssen im Inneren dieses Menschen so klar wie durch Glas einen zerlegbaren Mechanismus erkennen. Je exakter beide Vorstellungen – Mensch und Mechanismus – ineinandergreifen, um so erschütternder ist die komische Wirkung, um so vollendeter die Kunst des Zeichners“ (Bergson, Lachen, 1988, S. 29).

 



Erschienen im Katalog "Glückliche Tage"
Hg. Künstlerhaus Lauenburg, 1992

 



Prof. Dr. Bettina Köhler
Freie Autorin. Architektur - Kunst - Design
Independent author. architecture - art - design

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