Zuhause im Gehege

von Dr. Hans-Werner Schmidt
im Katalog "Zuhause im Gehege"
1998

 


 

Seit 1991 arbeitet Britta Hansen mit glasierten Keramiktafeln als Bildträger. Im quadratischen Format erinnern sie, bedingt durch die Materialqualität, an Kacheln. In größerer Dimension erscheinen die Stücke wie voluminöse, an der Wand hängende Bildkörper. Die Form der Brosche oder des Medaillons wahrt die Initimität der Szenen.

Die dargestellten Szenerien im Feld der Kachel wirken auf den ersten Blick wie Momentaufnahmen von privatem Leben im häuslichen Rahmen. Einbauküche, Regalsysteme, HiFi-Equipment und Blumenschmuck dokumentieren gleichsam Funktionalität und Heimeligkeit.

Strukturfelder im Bild wie Schindeln, Rippenteppich, Kachelrauten und Parkett in Fischgräten-Ordnung festigen die jeweilige Kompostion. Diese ist meist panoramaartig geweitet, als hätte ein extremes Weitwinkelobjektiv die Szene festgehalten – oder: der Obermieter bediente sich eines Blickloches hinein in die untere Etage. Identifiziert man sich mit dieser Ansicht, so gerät die Betrachtung zum voyeuristischen Akt.

Dass Mann und Frau dort nackt erscheinen, verleiht den "eigenen vier Wänden den Stimmungswert von Feierabend. In der möblierten Idylle weht so ein natürlicher Zug. Diesen verfolgt Hansen und kommt zu mythischen Begegnungen: Fortuna, Amor, Mars und Venus. Wenn jene Gestalten vielleicht durch eine verschulte humanistische Bildung den Reiz der Identifikationsfiguren verloren haben sollten, so erschließt Hansen sie uns in wohltuender Nähe. Die Oberflächen der Bilder weisen eine Vielzahl von schlüssellochartigen Öffnungen auf – ein Schlüssel wird schon passen, um uns den Zugang zu den Liebesweiden zu erschließen.

Der mythologische Hintergrund ist auch in den Kachelreliefs gegeben, wenn sich unter der Flokati-Landschaft Abgründe auftun. Die scheinbare Vertrautheit des Dargestellten ohne offensichtliche Bedeutungstiefe kippt in dem Moment, in dem man realisiert, dass die männliche Figur in Hansens Paarbeziehungen das Hirschgeweih trägt. Und über das Mensch/Tier-Mischwesen stellt sich Bedeutungstiefe ein. Vielleicht steht in einem der dargestellten Bücherregale das Buch von den "Metamorphosen des Ovid. Dort ist die Begebenheit geschildert, dass Aktaeon Diana beim Baden beobachtete. Zur Strafe wurde der Voyeur in einen Hirsch verwandelt – und wurde so zur Beute seiner eigenen Hunde. Eingedenk dessen fühlt sich der, der mit seinen Blicken in Hansens Interieurs eindringt, ertappt. Das, was wie ein liebevoll eingerichtetes Puppenstubenambiente wirkt, gerät so zur Falle.

Der Autor betastet in diesem Moment seinen Schädel, ohne Ansätze des Gehörns zu erfühlen. Er wendet sich beruhigt ab, doch in der Gewissheit, in Hansens Interieurs zurückkehren zu wollen.

© foto & design: perlbach fotodesign

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