Ein nacktes Weib also, auf einer Kugel stehend ...

von Jens Martin Neumann
im Katalog "polka dots & moon beams"
2005

 


 

Britta Hansen schuf in diesem Jahr (2005) eine Serie von ungewöhnlichen farbigen Tuschzeichnungen, die den Betrachter überraschen mag, da die Künstlerin zunächst durch lebensgroße Skulpturen und in der Folge durch glasierte Keramikplatten bekannt geworden ist, aber ein sehr bezeichnendes Licht auf ihre künstlerische Position wirft. Über den Papierbogen ist ein regelmäßiges, allerdings frei angelegtes Netz aus gerundet verlaufenen, abstrakten Farbflächen entfaltet, das in freier Strichsetzung sekundär gegenständlich ausgedeutet wird. Farbflecken stilisieren zum Hinterkopf oder zum Kleidungsstück einer Figur, bilden als Pupille oder Mundhöhle Zentrum von Auge und Rachen, aber genauso die Eiskugel einer Waffel. Aus dieser poetischen Mixtur von ganz heterogenen Motiven entsteht in flächig ornamentalem Rapport ein originelles, skizzenhaftes Patchwork. Diese Fleckenbilder zeigen Britta Hansen zuvorderst als Zeichnerin, belegen deutlich, dass sie ihre Figuren in spontaner, rein grafischer Klärung findet, die Gold- und Farbakzente der Keramiken aus ähnlichen Farbmustern gewinnt und ihre – eben nicht kunsthistorische, sondern individuelle – Emblematik wie hier aus persönlichen, stellenweise intimen Notaten ermittelt. Die Künstlerin setzt immer auf das Sampling von Eindrücken und Bildern, das ein breites narratives Assoziationsfeld arrangiert, sich aber der letzten rationalen Analyse versperrt.

Britta Hansens Kunst ist vielschichtig. Sie entfaltet sich balanciert in einer Vielheit der Gestalt und in einer Vielzahl von Anspielungen. In hochgradig sinnlicher Inszenierung irgendwo zwischen Barock und Pop Art, klassischer Mythologie und trivialem Alltag wechseln Stillage und Darstellungsmodus, mehrere formale wie inhaltliche Ebenen, was Spannungen und Brüche, eben jene spezifische virulente Bilddramatik bewirkt. Figürlicher Realismus suggeriert dabei sofort Bedeutung, gibt sie aber nicht preis, erscheint zugleich einfach und unentzifferbar.

Die Künstlerin zeichnet, koloriert und modelliert in Ton, nutzt den weichen Grundstoff ritzend, stempelnd, glasierend und formend als Bildträger oder als Figurenblock, wobei das Spektrum des Formats von rechteckigen oder gestreckt ovalen Keramikplatten über annähernd kreisrunde, stark vorgewölbte Kuppelschalen bis hin zu frei plastischen, gitterartig durchbrochenen Figurengehäusen reicht, also zwischen planer Flächigkeit der Bildtafel, erhabener oder versenkter Arbeit des Reliefs und dreidimensionaler Körperlichkeit der Vollplastik changiert ohne sich in der Sicherheit überlieferter Gattungsgrenzen verorten zu müssen. Gestalterisches Ziel ist vielmehr die Überwindung der traditionellen Abgeschlossenheit des Bildfeldes durch die Auslotung des Raums, der Sphäre vor, aber auch – in Kerbung und Durchlöcherung – hinter dem Bild. Dass die Objekte durch ihre technische Herstellung und die Materialästhetik der farbig und Gold glasierten Keramiken vordergründig an monumental vergrößerte Schmuckbroschen, Delfter Fayencen oder figürlich bemalte Porzellanplatten und Konfektkörbe des Rokoko erinnern können, gehört dabei zum Verweischarakter einer Kunst, die sich altehrwürdige Formeln aneignet, um die adäquate Stimmung auf der festlichen Bühne ihrer Erzählung zu schaffen. Gleichzeitig erweist sich die keramische Ausführung als formale Klammer um die einzelnen Sinnschichten.

Britta Hansen entzieht ihre Werke bewusst jeglicher inhaltlicher Festlegung, an die Stelle eindeutiger Lesbarkeit tritt ein explosives Verhältnis von Darstellung und Deutung, von Erfindung und Zitat: Wie in der zweiteiligen Arbeit L'Age d'Or verschneiden sich oftmals private Alltagsszenen in nur kürzelhaft bezeichneter räumlicher Umgebung aus ornamentaler Tapete, summarisch markiertem Fußboden und einzelnen Möbeln (Stuhl, Sessel, Regal, Kronleuchter) mit merkwürdigen Akteuren, auf deren nackten menschlichen Körpern Hasenköpfe mit langen Ohren ruhen. Vielfach tragen die männlichen Gestalten auch Hirschgeweihe. Zu diesen, letztlich "erfundenen" Protagonisten treten – als "Bild im Bild" oder eigenständige szenische Tafel – biblische oder mythologische Einzelfiguren und Paare, deren Darstellungsformeln stets aus ausgewählten klassischen Kunstwerken stammen, allen voran die Fortuna nach Dürers Kupferstich "Das Große Glück". Ob Zitat von Adam und Eva im zärtlichen Beieinander paradiesischer Zeiten, von Mars und Venus im Rausch sinnlichen Begehrens oder der antiken Schicksalsgöttin in herrischer Erscheinung, sie alle funktionieren inhaltlich genau wie die persönlichen Mischwesen der Künstlerin, sind allesamt die Hauptdarsteller in ihren Geschichten. Die nur formelhaft zitierten "Schauspieler" führen die archaischen Dramen von der Macht des Schicksals, von Liebe und Verrat auf ganz profane, ewig menschliche Geschichten (z.B. Frau – Mann) zurück, denn der überlieferte Symbolhorizont der sagenkundlichen Figuren erfährt in der Umsetzung mit zeitgenössischen Kunstmitteln eine individuelle Neuinterpretation seines imaginären Potentials (Noch der von Diana gehörnte Aktäon oder bereits ein Comic-Held aus der Feder Hugo Pratts?). Britta Hansen verschlüsselt ihre Auseinandersetzung mit der Mythologie in einer grafisch keramischen Struktur, verflüchtigt deren emotionale Aufladung durch die Verwandlung ins Ornamentale, eignet sich also spielerisch das entsprechende Motivrepertoire der künstlerischen Tradition an, um auf diesem neuen Niveau einer subjektiven Erzählung die eigenen Figuren anzugleichen. Damit wird mitnichten alte Kunst neu erschlossen, sondern bereits formulierte "Bilder" aus unterschiedlichsten Zusammenhängen – mythische Idole, alte Ikonen, psychologische Typen oder grell bunte Medienklischees – für eigene, neue Bildwelten genutzt.

Solche Prinzipien gelten ebenfalls für die jüngste Serie der Bäuche. Die Form wird vom menschlichen Modell abgenommen, so dass sich eine Reihe von individuellen Variationen auf das objektive Grundthema "Gewölbewanne" ergibt. Die Oberflächen sind mit ornamentalen Insektenteppichen aus eingeritzten Fliegen, zart bezeichneten Schmetterlingen oder Bienen mit vergoldeten Abdomina überzogen, der Tonmantel jeweils systematisch durchlöchert, gleichsam morbid gerissen. Unterlegte Spiegelscheiben reflektieren in diesen Öffnungen das Licht, nähern sie damit den vergoldeten Schlüsselabdrücken anderer Arbeiten an, setzen gleichzeitig die dort intendierte Metaphorik des verbotenen Blicks in tatsächliche Einblicke um. Wie in ihren Zeichnungen findet Britta Hansen auf der Suche nach einer gedanklichen Form ganz subjektiv – hier in Gestalt des menschlichen Bauchs – eine reale Form, die sie dann in serieller Reihung und farbiger Verfremdung verallgemeinert, um zu einer Metapher durchzustoßen, die gleichermaßen Struktur und Assoziation umfasst.

© foto & design: perlbach fotodesign

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