Menschsein ... zwischen Himmel und Hölle

von Jens Martin Neumann
Eröffnungsrede zur Ausstellung der Landesschaukunstpreisträgerin 2017 Britta Hansen
27.08.2018

 


 

Ich freue mich aufrichtig, dass ich heute in diese festliche Ausstellung der Landesschaukunstpreisträgerin 2017 Britta Hansen einführen darf. Damit geht der Kunstpreis einmal mehr an eine Vertreterin dieser bedeutenden Generation großer Künstlerinnen, die uns Betrachtern die Kunst neu gelehrt hat. Die Malerin, Zeichnerin und Bildhauerin, die ihr Werk so stringent über mehr als drei Jahrzehnte beständig auf höchstem Niveau entfaltet hat, hebt heute neuerlich den Vorhang und gibt den Blick frei auf die Bühnen ihrer keramischen Schau-Spiele. Britta Hansens Kunst entfaltet sich wie ein gutes Libretto in einer Vielheit der Gestalt und einer Vielzahl von Anspielungen, treibt ihr fröhliches Spiel mit klassischer Mythologie, Zitaten der Kunstgeschichte und alltäglicher Popkultur. Die triumphale Heiterkeit, die sinnliche Fülle und einprägsame Schönheit ihrer Werke lässt uns dabei den thematischen Ernst, das intellektuelle Konzept und die manuelle Handwerklichkeit leicht vergessen.

 


 

Britta Hansen fertigt seit vielen Jahren keramische Objekte und Bildplatten: Sie zeichnet, ritzt, prägt, malt, glasiert, schnitzt auf und in den tönernen Bildträger und modelliert aus dem weichen Grundstoff frei plastische Figurengruppen. Das Spektrum reicht von weit aufgespannten Keramikkreisen über rund bauchige Gewölbewannen bis hin zu bouquetartig gebundenen Kleinplastiken und korbförmig geflochtenen Figurengehäusen.

Britta Hansen ist die größte Erzählerin in der heimischen Kunstszene, alle ihre Werke durchweht ein Hauch von Rubens und Shakespeare. Während wir in der aktuellen Kunst meist nur einzelne anekdotische Momente oder wabernde Slogans finden, herrscht hier eine buchstäblich fabelhafte, eigenwillige Rhetorik, basierend auf einer präzisen ästhetischen Grammatik. Britta Hansen erzählt, indem sie sehr persönliche, stellenweise intime Gedanken zur Anschauung bringt, auf eine balancierte, weil in der theaterhaften Inszenierung objektivierten Weise, die ihre Betrachter vollkommen überzeugt, oftmals überwältigt. Malerisch, zeichnerisch, bildhauerisch sind Britta Hansens keramische Arbeiten echte Meisterwerke, fast barock, bisweilen orientalisch in der Üppigkeit von Gold und Farben, und doch wieder erdverbunden im Urstoff des Tons. Mit den farbig glasierten, Gold gehöhten, aber auch rüde sandgestrahlten Keramiken ist die reich gezierte Bühne für den Auftritt ihrer Protagonisten bereitet, wird im assoziativen Verweis auf glänzende Schmuckbroschen, holländische Fayencen und bemaltes Rokoko-Porzellan der festliche Grundton ihrer Erzählung an-geschlagen, in den artifiziellen Handlungsräumen aus prächtig glänzender Ornamentik und paradiesisch üppiger Vegetation diese unverwechselbare, märchenhafte Stimmung erzeugt.

Die keramischen Bildbühnen werden von merkwürdigen Mischwesen bevölkert, von Eulen, Hühnern, Krokodilen oder Elefanten, dargestellt etwa im Ritual einer modernen Therapiesitzung oder eines archaischen Tanzes. Eine oftmals wiederkehrende Szene ist die Begegnung von Hund und Mensch: eine dickleibige Bulldogge als machohafte Reisebegleitung einer lasziv hingestreckten Kreuzfahrttouristin oder ein treu blickender Jagdhund in stiller Zwiesprache mit seinem melancholischen Herrn. Allegorisch nackte Frauen entfalten riesige, filigran insektenhafte Flügel, die zugehörigen Männerakte tragen als ferne Erinnerung an den von Diana gehörnten Aktäon aus Ovids "Metamorphosen" mächtige Hirschgeweihe, andere aber auch Motorradkleidung samt Helmen.

Es sind – mit Albrecht Dürer gesprochen – "innere Figuren" der Künstlerin, die jedoch in einer äußeren Darstellungsform zur Anschauung gebracht werden. Dafür ruft Britta Hansen bekannte kollektive Bilder ab, die bereits sprachlich oder bildlich formuliert sind. Pfauenfrau und Hirschmann sind aus dem riesigen Pool populärer Alltagsklischees, trivialer Geschlechterrollen, psychologischer Archetypen und medialer Popidole ermittelt. Die sinnbildlichen Tierwesen ver-körpern wie in der belehrenden Fabel menschliche Charaktereigenschaften, und sie handeln auch menschlich. Nacktheit und Sinnlichkeit, Attribute wie Flügel und Geweih, aber auch die markante Goldbetonung von Herz und Genital sind der ernsten Sphäre des archaischen Mythos, der antiken Götterwelt und nordischen Heldensaga entnommen. Die von Eva Koj modellierten Schalen und Vasen verdeutlichen schön, wie sich Britta Hansen im spontanen Zeichnen auf diesen vorbereiteten Bildträgern in sehr privaten Notaten diese kulturelle Hintergrundfolie subjektiv aneignet. Denn die grafische Klärung der Figuren in fließenden Linien, die inspirierte Kritzelei und sekundäre Ausdeutung des gestischen All-Overs interpretiert den überlieferten sagenkundlichen Symbolhorizont – stellenweise durchaus im Sinne eines Comics - als aktuelle grafisch-keramische Struktur vollständig neu.

Die Unabhängigkeit und Freiheit ihrer Bilderfindungen, ihre epische Inspiration, zeigt sich gerade dort, wo Britta Hansen klassische Themen aufgreift. Wie keine zweite heimische Künstlerin beherrscht sie souverän die großen Inhalte und Formeln der abendländischen Kunst. Neben die frei imaginierten Schauspieler treten als Bild im Bild oder als eigenständige Arbeit mythologische und biblische Figuren, die aus klassischen Kunstwerken zitiert sind. Stets auf die Grundgestalt konzentriert und zu elementarer Prägnanz verknappt, balanciert eine geflügelte Fortuna nach Dürers "Großem Glück" mit dem Pokal der Lebenssieger auf der Weltkugel, liegen Adam und Eva nach Hendrik Goltzius' "Sündenfall" in unschuldig zärtlicher Umarmung beieinander, vergnügen sich heitere, in straffen Kurven schwellende Frauen nach Ingres im "Türkischen Bad". Schicksalsgöttin und biblische Stammeltern funktionieren genauso wie die persönliche Pfauenfrau der Künstlerin, sie alle sind Handlungsträger in Britta Hansens Erzählung, leiten - wie Adam und Eva die schicksalshafte Zweisamkeit – einzelne Episoden ein.

Nun könnten diese klassiknahen Allegorien vordergründig altmodisch wirken, aber das künstlerische "Wie" ihrer Erzählung verleiht den Stoffen eine Gegenwärtigkeit, die uns der Künstlerin mit Spannung folgen lässt. Einerseits sind Mythos und Religion in der älteren Kunst schon so mustergültig bearbeitet und deren ewig menschliche Lebensthemen in zeitlos gültige Bildformeln gebracht. Andererseits sind Mythos und Kunst bei Britta Hansen so stark personalisiert, so unmittelbar, fast Pop Art gemäß, auf das Leben bezogen, dass menschliche Grundfragen nach Leben und Tod, Liebe und Schuld, Freude und Schmerz den Schlüssel zum direkten Verständnis liefern. Britta Hansen deutet Götter und Heroen aus eigener existenzieller Empfindung um, gleicht sie auf dem gesuchten Niveau einer subjektiven Erzählung den trashigen Fabeltieren an: Die alten Götter sind aus Paradies und Olymp hinabgestiegen und in der banalen Alltagswelt gelandet, um gemeinsam mit den übrigen Akteuren die archaischen Tragödien oder Komödien von der Macht des Schicksals aufzuführen.

 


 

Britta Hansen schärft in ihrer individuellen Emblematik das Alltägliche zum Mythologischen auf, beschneidet das Mythische jedoch sofort wieder auf menschliches Maß. Menschsein – mit einem Werktitel – zwischen Himmel und Hölle, so schön, so klug, so bildgewaltig wie von Britta Hansen lässt sich kaum eine Metapher humaner Existenz in Zeiten ihrer grundsätzlichen Gefährdung formulieren.

© foto & design: perlbach fotodesign

© 2024 Britta Hansen